Erich Schmid

Der Umgang blinder Menschen mit der Textverarbeitung

Intersteno Kongress – Wien – July 2005


Ich bin sicher, viele Menschen interessiert die Beantwortung der folgenden Fragen:

-           Was bedeutet es, nicht sehen zu können?

-           Welche Hilfen gibt es für blinde und sehbehinderte Menschen?

-           Welche Hilfen gibt es im Computerbereich?

-           Wie kann ein blinder Mensch den Bildschirminhalt erfassen?

-           Kann der Blinde die Maus benutzen?

-           Wie schreiben blinde Menschen am Computer?

-           Wie arbeiten blinde Menschen möglichst effizient am Computer?

-           Sind alle Probleme für Blinde in der Textverarbeitung gelöst?  

Was bedeutet es, nicht sehen zu können?  

Es liegen Welten zwischen Menschen, die sehen können, Menschen, die weniger gut sehen können und Menschen, die nichts sehen, also blind sind. Der Sehsinn ermöglicht simultanes Erfassen und damit komplexes und rasches Reagieren. Da der Sehsinn sowohl empfangen wie auch senden kann, wirkt sich sein Verlust auch auf zwischenmenschliche Beziehungen aus: Blinde Menschen haben keinen Blickkontakt!  Vor allem der Gehör- und Tastsinn müssen die Raumerfassung zur Orientierung übernehmen. Das Erfassen von Eindrücken ist weniger stark simultan, sondern linear.  

Menschen, die von Geburt an mit Sehbehinderung oder Blindheit belastet sind, gehen mit ihrer Behinderung meist anders um als Menschen, die im Laufe ihres Lebens ihr Sehfähigkeit verloren haben. Auch ist es nicht gleichgültig, wie sich die Sehbehinderung auswirkt. Am einfachsten lässt sich das durch die Gegenüberstellung zweier Krankheitsbilder verdeutlichen: Der Ausfall des zentralen Gesichtsfeldes erfordert wesentlich andere Strategien zur Bewältigung der Behinderung wie der Ausfall der Ränder des Gesichtsfeldes.  

Welche Hilfen gibt es für blinde und sehbehinderte Menschen?  

Die optischen Hilfen reichen von Lupen, Leuchtlupen, Monokularen, Lesegeräten, Vergrößerungssoftware bei computergestützten Systemen bis zur futuristisch anmutenden Cyberbrille. Auch für blinde Menschen sind viele Hilfsmittel erfunden worden, von der Unterstützung im Haushalt, bei der Orientierung im öffentlichen Verkehr bis zur Ausgabe des Bildschirminhaltes über Braillezeile und Sprache. Die Brailleschrift, die heuer vor 180 Jahren vom sechzehnjährigen Franzosen Louis Braille erfunden wurde, hat blinden Menschen den Zugang zu Literatur und Bildung ermöglicht.  

Wenn Kinder mit Sehbehinderung oder Blindheit in die Schule kommen, so erlernen sie entweder Techniken für Sehbehinderte oder für Blinde und manche nutzen auch Techniken und Hilfsmittel aus beiden Bereichen.  

Welche Hilfen gibt es im Computerbereich?  

Bei leichter Sehbehinderung genügt es, die Hilfen der in jedem Betriebssystem oder im Grafikadapter eingebauten Möglichkeiten zur Schrift- und Symbolvergrößerung zu nutzen und Bildschirmschemata zu wählen, die ein kontrastreiches Bild ergeben. Für hochgradig Sehbehinderte wurden spezielle Bildschirmvergrößerungsprogramme entwickelt. Sie erlauben dem Sehbehinderten, die Ausgabe am Bildschirminhalt auf seine besonderen Bedürfnisse einzustellen. So können zB Schriftgröße (Breite wie Höhe), Schriftfarbe, die Art und Dimensionierung des Vergrößerungsfensters, die Cursor-, Mauszeigereigenschaften (Größe, Farbe, Verfolgung), das Lesen der Datei im Fließtext, die sprachliche Ausgabe des Bildschirminhalts und vieles andere mehr eingestellt werden. Das Hauptproblem ist der bei steigender Vergrößerung immer kleiner werdende Bildschirmausschnitt. Das simultane Erfassen ist mehr oder weniger gestört oder wird ganz verhindert. Die Arbeitsgeschwindigkeit sinkt. Sehbehinderte Menschen sind jedoch in der Lage, auch grafische Elemente zu bearbeiten.  

Die Blindenschrift ist aus tastbaren Punktzeichen aufgebaut. Die Zeichengröße unterliegt natürlichen Grenzen. So wie bei der optischen Auflösung gibt es beim Tasten eine Grenze, wo zwei Punkte nicht mehr voneinander getrennt wahrgenommen werden können. Damit ist die Größe eines aus Punkten aufgebauten Zeichens vorgegeben, denn das Zeichen muss mit der Kuppe eines Fingers ertastet werden können. Die sechs Punkte der Brailleschrift sind so angeordnet wie der Sechser beim Spielwürfel, also in zwei Spalten zu je drei Punkten. Mit sechs Punkten kann man 63 unterschiedliche Zeichen bilden. Das ist nicht viel und deshalb werden in der Brailleschrift Großbuchstaben nur selten gekennzeichnet und dann ist ein zweites Zeichen notwendig. Da jedoch der Bildschirminhalt so genau wie möglich wiedergegeben werden muss, wurde das Sechspunktsystem für die Braillezeilen durch Zusatz zweier Punkte auf ein Achtpunktsystem erweitert. Mehr ist nicht möglich, denn dann wird der Tastbereich der Fingerkuppe überschritten. Mit 8 Punkten können 255 unterschiedliche Zeichen codiert werden. Das war bis vor einigen Jahren für die Arbeit mit dem Computer ausreichend, aber moderne Betriebssysteme erlauben heute die Anzeige tausender Zeichen und hier kommen wiederum Probleme der Ausgabe auf blinde Menschen zu und damit weitere Arbeit für die Gremien der Standardisierung.  

Wie kann ein blinder Mensch den Bildschirminhalt erfassen?  

Moderne Betriebssysteme wie WINDOWS, LINUX und Mac OS haben wahlweise oder ausschließlich grafische Benutzeroberflächen. Damit die am Bildschirm angezeigten Informationen blinden Menschen zugänglich gemacht werden können, läuft am Computer im Hintergrund ein Programm, der sogenannte Screenreader. Das Programm sammelt die Informationen, noch bevor sie in Grafik umgewandelt werden, bereitet sie für eine spezielle Oberfläche auf und gibt sie entweder über Sprache aus oder schickt sie zu einer Braillezeile. Die Aufbereitung für Sprachausgabe erfolgt nach anderen Gesichtspunkten als die Aufbereitung für Braillezeile.  

Bei den Sprachausgaben gibt es heute schon sehr gut klingende synthetische Stimmen für sehr viele Sprachen der Erde. Um Sprachausgaben nutzen zu können, benötigt man keine Zusatzgeräte, sondern lediglich eine funktionierende Soundkarte und Lautsprecher.  

Die Braillezeile ist ein spezielles Zusatzgerät, das unter die Tastatur geschoben wird. 20, 40 oder 80 8-Punkt-Braille-Module sind nebeneinander angeordnet. Längere Zeilen bieten mehr Übersicht, sind aber teurer. Eine Zeile mit 80 Modulen kostet heute ca. 10.000 Euro. Die acht Punkte jedes Moduls können nach oben und unten bewegt werden. Nur die erhabenen Punkte werden ertastet und so können Buchstaben, Zahlen und Sonderzeichen gelesen werden. Im günstigsten Fall werden gleichzeitig 80 Zeichen des gesamten Bildschirms angezeigt. Das ist sehr wenig, darum muss es Möglichkeiten geben, den gesamten Bildschirminhalt zu erforschen. Die wichtigste dieser Möglichkeiten ist die Bewegung der Zeile über den virtuellen Bildschirm: Mit Tasten, die an der Zeile angebracht sind, kann der Ausschnitt nach links, rechts, oben und unten bewegt werden. Diese Bewegungsmöglichkeit alleine würde jedoch noch kein rasches Arbeiten erlauben. In den Screenreader ist eine Funktion eingebaut, welche die Zeile zum Fokus, also zur momentan wichtigsten Stelle am Bildschirm bewegen kann. Im Dialogfeld des Menüs Datei-Öffnen besteht die wichtigste Aufgabe darin, den Dateinamen einzugeben, daher steht die Zeile nach Aufruf dieses Dialogfeldes in jenem Bereich, in welchem der Dateiname eingegeben werden kann.  

Kann der Blinde die Maus benutzen?

Seit ca. 20 Jahren ist die Maus neben der Tastatur das wichtigste Hilfsmittel zur Eingabe geworden. Die Entwickler von Braillezeilen haben einen gewissen Ersatz der Maus für Blinde geschaffen, nämlich die so genannten Routingtasten. Über jedem Braillemodul befindet sich ein Knopf. Wird er gedrückt, wird der Mauszeiger an jene Stelle des Bildschirms bewegt, welche an dem bestimmten Modul der Braillezeile angezeigt wird. Hat der lesende Finger beispielsweise einen Fehler gefunden, drückt er am Modul mit dem fehlerhaften Zeichen auf den Knopf und der Mauszeiger wird am Bildschirm zur fehlerhaften Stelle bewegt. Auch Doppelklicken ist möglich. Für den rechten Mausklick gibt es auf modernen Tastaturen eine spezielle Taste. Screenreader stellen sogar die Funktionen „Maustaste halten“, „Maus ziehen“ und „Maustaste loslassen“ zur Verfügung, weil jedoch die grafische Oberfläche und die Dimensionen der Objekte auf der Braillezeile nicht exakt wiedergegeben werden können, können Blinde nicht jede Drag-and-Drop-Aktion gut ausführen.  

Wie schreiben blinde Menschen am Computer?  

Das Schreiben darf für blinde und sehbehinderte Menschen kein Problem darstellen. Das Schreiben im Zehn-Finger-System ist am Blindeninstitut ab der 6. Schulstufe verpflichtend eingeführt. Da heute jedoch der PC bereits in der Grundschule eingesetzt wird, erlernen die Schülerinnen und Schüler das Schreiben im Zehn-Finger-System wesentlich früher. Die Tatsache, dass die meisten wegen ihrer Sehbehinderung oder Blindheit die Beschriftungen der Tasten nicht erkennen können, zwingt zum frühzeitigen und hoffentlich korrekten Erlernen des heute gebräuchlichen Systems. Der blinde Mensch schreibt somit von Anfang an „blind“, denn das ständige Nachprüfen der Richtigkeit des Geschriebenen auf der Braillezeile ist höchst unökonomisch, da die Hand ständig zwischen Tastatur und Braillezeile wandern müsste. Im Schreibtempo sind blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler ihren sehenden Kolleginnen und Kollegen ebenbürtig. In den oberen Klassen der kaufmännischen Ausbildungszweige erreichen manche sehende Schülerinnen und Schüler eine höhere Schreibgeschwindigkeit und -sicherheit. Bei Abschriften sehen sie den Text mit allen Tücken der Rechtschreibung vor sich, während ihn blinde und hochgradig sehbehinderte Jugendliche angesagt bekommen. Besteht der Verdacht, einen Fehler gemacht zu haben, so ist das Auge ganz schnell an der betreffenden Stelle, während der lesende Finger sicherlich länger zum Suchen benötigt.  

Wie arbeiten blinde Menschen möglichst effizient am Computer?  

Die gezielte Nutzung von Braillezeile und Sprachausgabe ist ein Schlüssel für möglichst große Arbeitsgeschwindigkeit. Wenn es darum geht, Überblick über den Inhalt eines Textes zu gewinnen, dann ist die auf hohe Geschwindigkeit eingestellte Sprachausgabe das Mittel der Wahl. Geht es darum, die Richtigkeit eines Textes zu prüfen, bleibt das sorgfältige Lesen auf der Braillezeile nicht erspart.  

Im ersten Jahr des Unterrichts in Textverarbeitung muss vor allem blinden Schülerinnen und Schülern die Anordnung der Elemente am Bildschirm bewusst gemacht werden, damit auch bei ihnen eine räumliche Vorstellung entsteht. Dann wird für die Einstell- und Auswahlmöglichkeiten der Weg über die Menüs gezeigt und geübt, um auch für die Zukunft den sicheren Weg bereitzustellen. Die Schülerinnen sind jedoch sehr erfreut, wenn sie dann erfahren, dass es in Form der Hotkeys wesentlich kürzere Wege zum Erreichen vieler Ziele gibt. Der Einsatz von Hotkeys bringt daher eine merkliche Beschleunigung der Arbeitsgeschwindigkeit. Es lohnt sich auch für sehende Schreiberinnen und Schreiber, möglichst viele Hotkeys zu wissen und die modernen Betriebssysteme stellen mehr Hotkeys zur Verfügung als man vermuten würde.  

Bei Problemen, die nicht über Tastatureingaben lösbar sind, müssen jene Funktionen eingesetzt werden, welche die Hersteller von Screenreadern in ihre Programme eingebaut haben. Dies ist naturgemäß firmenabhängig und leider hinken die Screenreader immer wieder den neuen Features neuer Versionen von Office-Programmen etwas nach. Da jedoch durch die Gesetze zur Gleichstellung behinderter Menschen die Softwarehersteller gezwungen werden, interne Schnittstellen mehr und mehr offen zu legen, können die Screenreader-Hersteller immer bessere Funktionen implementieren. Nach Drücken einer Screenreader-abhängigen-Tastenkombination können heute zB die Schriftart, Schriftgröße und Formatierung eines Zeichens angesagt werden sowie die Ausrichtung eines Absatzes usw.

Sind alle Probleme für Blinde in der Textverarbeitung gelöst?

Es sind noch längst nicht alle Probleme gelöst, die blinde Menschen in der Textverarbeitung, mit Office-Programmen und mit Internetseiten haben. Die erzwungene Umstellung der Schreibkräfte auf die Benutzung von Computern ist jedoch für blinde Menschen nicht zum Jobkiller geworden, allerdings erfordern die neu entstandenen Arbeitsgebiete profunde Kenntnisse, viel Trainingsarbeit und die Bereitschaft, immer wieder Neues zu lernen und umzulernen. Es ist erstaunlich, was heute schon alles erreichbar ist, aber es bleibt auch noch viel zu tun. Tabellen oder einen Serienbrief zu erstellen ist heute für einen blinden Menschen kein Problem, das Layout einer Zeitschrift zu gestalten wird jedoch auch weiterhin nicht ohne Hilfe von Sehenden möglich sein.

Es bleibt zu hoffen, dass neu eingeführte Techniken blinde Menschen im Zugang zum Computer nicht behindern, sondern immer menschenfreundlicher und damit auch behindertengerechter werden.